100 Jahre Entfestigung – der 12. August 1920

Der Beginn der Entfestigungsarbeiten… steht auch weiterhin nicht fest

Auch im August 1920, wie zuvor schon im Juli, beschäftigten sich die deutschen Behörden mit allgemeinen Fragen zur Umsetzung der alliierten Forderungen. Ebenso wurden verwaltungstechnische Weichen gestellt, die Zuständigkeiten der Ämter und der Abrechnungsmodus der kommenden Arbeiten festgelegt, um nur einige Bereiche zu nennen. Wichtig war auch die Erörterung der Möglichkeiten, die Kosten der Entfestigung für das Reich zu senken. Und dies alles ohne genau zu wissen, wie die Antwort der I.M.K.K. zu den deutschen Schleifungsplänen und Erhaltungsanträgen am Ende aussehen würde. Was vor Ort geschah, in den betroffenen Festungsstädten, stellte sich zumindest dem Reichsschatzministerium als ebenso ungewiss dar.

Am 11. August mahnte daher der Reichsschatzminister bei der Reichsvermögensverwaltung in Koblenz an, dass in Berlin „über die Ausführung der Arbeiten, Versuchssprengungen usw. sowie über die Verdingungen […] keine Berichte“ vorlägen und das Amt „beschleunigt über den Stand aller dieser Arbeiten berichten und die Gründe für die Verzögerung angeben“ solle. „Mit den Schleifungsarbeiten„, so der Reichsschatzminister, „muß nunmehr beschleunigt begonnn [sic!] werden„.(1) Ein wahres Kunststück, wenn man noch nicht weiß, was denn alles zu zerstören ist und wie! Wie diese Anweisung gemeint war, führte das Ministerium dann in einem weiteren Schreiben vom 12. August aus. Hier heißt es:
Die Entfestigungsarbeiten haben sich zunächst zu erstrecken auf:
a) Probesprengungen
b) Ausbau noch vorhandener Holz- und Eisenteile – Hindernisgitter, Türen, Fenster usw. -, Sandsteinabdeckungen u.a.
c) Vorbereitungen der Verdingungen.
„(2)

Ob tatsächlich bereits Probesprengungen im Juli oder August durchgeführt wurden und wo diese stattfanden konnte bislang nicht geklärt werden. Eine amerikanische Quelle spricht möglicherweise dafür, dass diese und womöglich auch die unter b) aufgeführten ersten Maßnahmen ab dem 20. Juli auf der Bubenheimer Flesche stattfanden.(3) Die deutsche Bestandsführung der auf der Feste Kaiser Franz eingelagerten Sprengmittel weist zudem für den Zeitraum vom 31. Juli bis zum 31. August 1920 eine Differenz und somit einen möglichen Verbrauch von 270 „Sprengpatronen„, von 860 „Glühzünder[n] und Sprengkapseln“ sowie von 40 kg „Sprengpulver“ auf.(4) Dies könnten Hinweise darauf sein, dass im Juli oder August Sprengungen auf dem Petersberg durchgeführt wurden. Ein erster Sprengversuch ist tatsächlich für den 2. September dokumentiert (darauf kommen wir später noch zurück).

Und überhaupt die Verdingung: Für die Arbeiten an der Bubenheimer Flesche hatte man einen speziellen Abrechnungsmodus festgelegt, wie F. Wagner in seinem Artikel zur Entfestigung im Koblenzer Heimatblatt berichtet: „Um dabei möglichst viele Erfahrungen auch in bezug der Forderungen der I.M.K.K. zu sammeln, wurden die Arbeiten öffentlich zum Selbstkostenvertrag vergeben, d. h. dem ausführenden Bauunternehmer wurden die entstandenen Kosten mit einem prozentualen Zuschlag für Geschäftsunkosten und Gewinn erstattet.“ Erst bei der Feste Kaiser Franz wurde dann die Vorgehensweise dahingehend geändert, dass die Maßnahmen „nach einer öffentlichen Ausschreibung, jedoch im Gegensatz zu den ersten Arbeiten im Gedinge in Angriff genommen werden konnten“.(5)

Über den Ausschreibungsprozess für die Spreng- und Abbrucharbeiten schweigen sich die verbliebenen Akten des zuständigen Koblenzer Entfestigungsamtes leider aus. Da die Verdingungsunterlagen für die Arbeiten am System Feste Franz ebensowenig vorliegen wie die späteren Abrechnungen der beauftragten Firmen, kann nicht mit Gewissheit angegeben werden, welche Firma die Arbeiten an der Bubenheimer Flesche und der Feste Kaiser Franz ausgeführt hat.(6)

Warum eine zivile Behörde, in dem Fall das Reichsschatzministerium, den Beginn der Entfestigungsarbeiten angeordnet hat, und nicht etwa die Heeresfriedenskommission bzw. der Entfestigungskommissar, ist dagegen schnell erklärt: Das Koblenzer Entfestigungsamt als ausführendes Organ vor Ort unterstand der Reichsvermögensverwaltung, die wiederum dem Reichsschatzministerium unterstand.(7) Endlich eine klare Struktur in einem Wust von Zuständig- und Befindlichkeiten.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Schreiben des Reichsschatzministers Nr. V 4/73.20 vom 11.08.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 4, Dokument Nr. 605/20.
(2) Schreiben des Reichsschatzministers Nr. II 9/3182.20 vom 12.08.1920, in: ebd., Dokument Nr. 658/20.
(3) Vgl. American representation in Occupied Germany, 1920-1921. Volume II. Compiled by the Assistant Chief of Staff, G-2, American Forces in Germany, S. 208. Die Arbeiten wurden am 8. Dezember beendet. Siehe auch hier bei Wagner, linke Spalte, 2. Absatz: „Die Arbeiten wurden Mitte Juli begonnen und Mitte November beendet.“
(4) Munitionsbestand am 02.09.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 3, Anlage zu Dokument Nr. 663/20.
(5) Wagner, F.: Die Schleifung der Festung Koblenz – Ehrenbreitstein nach dem Weltkrieg, in: Koblenzer Heimatblatt, 8. Jahrgang, Nr. 10, 1931 (Online-Ausgabe bei Dilibri).
(6) Eine Liste der bei der Koblenzer Entfestigung tätigen Firmen findet sich bei Wagner (siehe hier, letzter Absatz rechts oben), es fehlt allerdings die Zuordnung zu den jeweiligen Werken.
(7) Vgl. Schreiben des Reichsschatzministers Nr. II 9/3182.20 vom 12.08.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 4, Dokument Nr. 658/20.