100 Jahre Entfestigung – der 30. Juni 1920

Die Bubenheimer Flesche wird „Versuchswerk

Wie berichtet, hatte das Koblenzer Entfestigungsamt am 23. Juni 1920 einen kompletten Satz Schleifungspläne für das System Feste Franz an die Kölner Verbindungsstelle der Heeresfriedenskommission gesendet. Bereits einige Tage später erhielt das Amt vom amerikanischen Ingenieurkorps den Befehl, den Schleifungsplan der Bubenheimer Flesche dem amerikanischen Chefingenieur Miller vorzulegen. Am 30. Juni wurde Oberstleutnant a.D. Hüger persönlich bei Chefingenieur Miller vorstellig, um ihm den Plan zu überreichen.

Die Deutschen (wer ist leider nicht klar) hatten entschieden, dass die Bubenheimer Flesche als Versuchsobjekt für die vorzunehmenden Sprengungen und Abrissarbeiten herhalten sollte, „um für die Zerstörung der übrigen Werke Erfahrungen zu sammeln„. Geplant war zunächst nur die Zerstörung von Mauerwerk z.B. der Gräben und Grabenbatterien, der Gegenminenstollen, von vereinzeltem freistehenden Mauerwerk und der Kehlmauern am Reduit. Vorgesehen war außerdem, die Grabenwände nicht vollständig zu zerstören, sondern Breschen hineinzusprengen, um die Mauern auf diese Weise unbrauchbar zu machen. Ausgenommen von der Zerstörung blieben lediglich die Teile, die den Hang gegen das abfallende Gelände zum Wagenhausgelände stabilisierten. Dies betraf hauptsächlich die Kommunikation zwischen der Feste Kaiser Franz und der Bubenheimer Flesche, deren Außenwand als Stützmauer erhalten bleiben sollte.(1)

Die Frage Millers nach der Einebnung der Gräben, für die das Erdreich der Wälle vorgesehen war, beantwortete Hüger nur ausweichend. Er entgegnete, „daß diese Arbeiten zunächst nicht beabsichtigt seien, weil die I.M.K.K. Gelegenheit haben müsse, sich von dem Zerstörungsgrad des Mauerwerks zu überzeugen und sich darüber äußern müsse, ob die Zerstörungen genügten oder nicht„.(2) Ein geschickter Schachzug, der ganz im Sinne der deutschen Verhandlungsstrategie war, wie aus einem Schreiben des Entfestigungskommissars Klotz hervorgeht: „Auch Anträge für Erhaltung von Wällen oder Wallteilen sind vorläufig nicht zu stellen, da der Verzicht auf ihre Beseitigung durch Verhandlungen im Ganzen erstrebt wird.“(3) Ein Aussetzen der Verfüllung der Gräben an der Bubenheimer Flesche würde also Zeit schinden, in der vielleicht eine positive Entscheidung der I.M.K.K. in Bezug auf das deutsche Anliegen vorliegen würde. Um es Vorweg zu nehmen – die Alliierten waren in diesem Punkt nur wenig kompromissbereit, doch dazu kommen wir noch.

Miller war mit Hügers Vorschlägen einverstanden und vertrat auch die Meinung, dass die I.M.K.K. sich mit dieser Vorgehensweise „zufrieden geben müsse. Auf das Abreißen des Mauerwerkes, welches nicht durch die Sprengungen gefaßt würde, könnte wohl verzichtet werden“. Miller gab zudem an, persönlich bei der Besichtigung des zerstörten Festungswerks durch die I.M.K.K. anwesend sein zu wollen. Hier zeigt sich wieder einmal, warum die Deutschen die amerikanischen Vorschläge so wertvoll fanden. Genutzt hat es ihnen wenig, aber es bleibt trotzdem die Frage, wie die Koblenzer Entfestigung wohl vor sich gegangen wäre, wenn die Amerikaner mehr Einfluss in dieser Frage gehabt hätten?

Im Gespräch mit Miller gab Hüger dann auch an, dass man die „praktischen Arbeiten“ um den 15. Juli anfangen und zum 1. September beenden wolle, um dann mit den hier gewonnenen Erfahrungen die Maßnahmen an den übrigen Werken des Systems Feste Franz anzugehen.(4) Es sollte jedoch noch mindestens bis August, wahrscheinlicher bis Anfang September 1920 dauern, bis überhaupt einmal Probesprengungen an der Bubenheimer Flesche stattfanden.

Erfahrung für seine Arbeit sammelte übrigens hier auch der Koblenzer Fotograf Joseph Ring, der im Auftrag des Entfestigungsamts die Zerstörungsarbeiten dokumentieren sollte. Die von ihm angefertigten Bilder der Bubenheimer Flesche bieten nämlich bei weitem noch nicht das Niveau, dass seine späteren Aufnahmen der Feste Kaiser Franz oder der Feste Kaiser Alexander zeigen, wie man in unserer Veröffentlichung seiner Entfestigungsbilder sehr gut nachvollziehen kann.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Schreiben des Entfestigungsamts Nr. 296/20 vom 30.06.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 4, Dokument Nr. 296/20.
(2) Ebd.
(3) Schreiben des Entfestigungskommissars B. Nr. 481/20 vom 26.06.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 4, Dokument Nr. 309/20.
(4) Schreiben des Entfestigungsamts Nr. 296/20 vom 30.06.1920, in: LHA Ko Best. 578,002 Nr. 4, Dokument Nr. 296/20.