Ein Stereoskop, Ende des 19. Jahrhunderts
Das Fundstück der Woche 01/2024 ist ein Stereoskop um die Jahrhundertwende mit einem entsprechenden stereoskopischen Bild der Marceau-Pyramide um 1860.
Das Bild gehört zu einer der Reise-Serien der Fotografen Charles-Paul Furne (1824-1875) und Henri-Alexis-Omer Tournier (1835-?). Sie haben zwischen 1857 und 1864 um die 40 Serien solcher stereoskopischen Bilder produziert. Die beiden Cousins gaben etwa 7 000 Fotos heraus und gehören damit zu den wichtigen Produzenten von stereoskopischen Karten in Frankreich. Obwohl die meisten Serien registriert wurden und dadurch datierbar sind, ist die „Reise am Ufer des Rheins und der Mosel“ nicht eingetragen worden, sodass eine präzise Datierung nicht gegeben ist. Möglicherweise entstand die Sammlung zum Ende ihrer Aktivität, da im Katalog 1861 nur „Bords du Rhin n°1“ genannt wird. 1861 wechselte Furne zum Verlagswesen und hörte mit der Stereoskopie auf. Er übergab seine Anteile an Tournier, der 1865 selbst das Unternehmen veräußerte.(1)
Um ein solches Bild zu betrachten wird ein Stereoskop verwendet. 1838 zunächst vom Engländer Charles Wheatstone (1802 – 1875) erfunden, gab es mehrere Varianten solcher Apparate. Das hier gezeigte Modell ist ein sogenanntes „Holmes-Stereoskop“, das vom Amerikaner Oliver Wendell Holmes (1809-1894) entwickelt und mehrheitlich zwischen 1860 und 1900 von verschiedenen Firmen hergestellt wurde.
Im Prinzip werden bei der Stereoskopie zwei identische Bilder, jedoch von zwei verschiedenen Standpunkten aus, gemacht. Da sich nichts bewegen darf werden manchmal zwei Apparate verwendet und gleichzeitig ausgelöst. Unter dem Stereoskop verbindet das menschliche Auge beide Bilder wieder, so dass ein Reliefeffekt auftaucht, daher der (fälschliche) Name „3D-Bild“. Es ist allerdings nur die Überlappung zweier Bilder, die so einen Eindruck von Tiefe erzeugen, obwohl diese physikalisch nicht vorhanden ist.
Das Bild der Pyramide von Marceau zeigt noch etwas Besonderes: den Zustand der damaligen Anlage. Keine Umfriedung umgibt das Denkmal, der Acker ist sichtbar bestellt worden. Nur die vier Bäume um das Monument zeigen, dass es sich hier um das Grabmal einer berühmten Person handelt. Und genau dieser Zustand wurde von einem französischen Journalisten, Dominique Durandy, am 24. Dezember 1911 beschrieben:
„Wir [suchten] die gekürzte Pyramide, die die Sambre- und Maas-Armee in der Nähe von Koblenz zu Ehren von Marceau gebaut hatte. Sie ist hinter den Wagenhäusern des Bahnhofes versteckt, am Fuß eines Forts gepackt, in der Nähe eines kleinen schweigsamen und einsamen Friedhofes, wo unsere einfachen Soldaten, im letzten Krieg in der Gefangenschaft verstorben, unter den Schatten ehrwürdiger Akazien ruhen. Ich brauchte eine lange Zeit um sie zu entdecken. Eisenbahnen umschließen das Monument und verteidigen dessen Annäherung besser als Stacheldraht. Deutschen Soldaten unternehmen in den Gräben des Forts Schießübungen, die Besucher abschrecken.
Da ich trotz der Rufe eines Wachpostens weitergegangen war, wurde ich von einem Unteroffizier aufgehalten. Er betrachtete mich von oben bis unten, und überprüfte sorgfältig das Notizbuch, das ich in der Hand hielt. Schließlich, als ich ganz nah zu der Pyramide kam, wo der Name Marceau glänzte, hörte ich die Schreie eines Schrankenwächters, dessen kleinen Garten ich im Vorbeigehen etwas in Unordnung gebracht hatte. Der Mann schrie Beleidigungen und in dem Haufen Worte, die auf meinen Kopf herunter prasselten, kam das Wort „Kartoffel“ immer wieder vor. Ein Kartoffelfeld umgab das Monument und ich hätte, hieß es, einige dieser nutzbaren Proviante zerstört. Ich ging vorsichtig zum Rückzug über; aber noch lange, während ich mich durch das Chaos der Bahnlinien, wo ich gelangt war, zu orientieren versuchte, hörte ich die Stimme des Mannes, der auf mich seinen Fluch warf.“(2)
Noch eine Ansicht des Ortes ist erhalten:
Diese weitere stereoskopische Karte ist unterhalb der Pyramide vom Franzosenfriedhof aus aufgenommen, oder zumindest rechts von dem Ort aus, wo sich heute die Gräber der Soldaten in etwa befinden. Auch hier scheint es so zu sein, dass der Boden im Vordergrund bestellt ist. Dies spricht dafür, dass die Karte ebenfalls vor 1870 entstanden ist.
Es ist gut, dass die gesamte Anlage heutzutage eingefriedet ist und mehr oder weniger von der Stadt gepflegt wird, sodass der Zugang zumindest gewährleistet ist.
Jean-Noël Charon, Koblenz, den 17. Dezember 2023
Anmerkungen
(1) Vgl. https://imagestereoscopiques.com/stereopedia/les-editeurs/furne-tournier/, am 17.12.2023 aufgesucht sowie deren Katalog auf https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b72004727/f1.item.r=furne%20et%20tournier, S. 44
(2) Chuquet, Arthur: „Quatre généraux de la révolution, Hoche & Desaix, Kléber & Marceau“, Fontemoing et Cie, Editeurs, Band IV, Paris 1920, S. 397 ff.
(3) Zu Deutsch: „Ort wo Marceau verstorben ist“, obwohl dies nicht korrekt ist. Marceau starb in Altenkirchen am 21. September 1796, wurde ein Jahr später eingeäschert und in dieser Pyramide beigesetzt. Die Urne mit der Asche ist jedoch verschollen. Siehe hierzu den Artikel „François Séverin Desgraviers Marceau“.
Abbildungen
Abb. 1: Sammlung Jean-Noël Charon, „Voyage sur les bords du Rhin et de la Moselle“, Nr. 17, Furne und Tournier, um 1860
Abb. 2: Sammlung Jean-Noël Charon, Original Stereoskop, Ende des 19. Jahrhunderts
Abb. 3: Sammlung Jean-Noël Charon, „Coblentz- Lieu ou mourut Marceau“. Unbekannter Herausgeber, undatiert