Fundstück der Woche 07/2021

Kämpfe um den Rhein, 1794

Das Fundstück der Woche 07/2021 ist eine Kanonenkugel, die vermutlich in den Rheindörfern der linken Rheinseite gefunden worden ist. Leider ist der genauere Fundort unbekannt. Sie weist aber auf eine kriegerische Geschichte, die einst unser Land heimsuchte.

Abb. 1: Preußische Kanonenkugel, 6-Pfünder, ca. 1794. Privatsammlung des Autors, aus dem Nachlass von Jan Reuter (†).

Nach der Niederlage Napoleons I. und dem Wiener Kongress 1815 war unsere Region zunächst an Preußen gefallen, später gehörte sie zu Deutschland. So wie Ernst Moritz Arndt 1813 es in seinem Gedicht „Der Rhein, Teutschlands Strom, nicht aber Teutschlands Grenze“ betonte. Dies war allerdings nicht immer so gewesen und es wurde zeitweilig hart um den Besitz des Flusstals gekämpft.

Bis ins 18. Jahrhundert hatten Könige und Fürsten das Land nur wegen seines Reichtums beäugt: Siege dienten der Annexion zusätzlicher Ländereien, die als Tauschware galten. Deren Wert wurde anhand der Fläche und der Bevölkerung bemessen: Es ging um Macht und keineswegs um das Befinden der Einwohner. Erst mit der Aufklärung und ihrer gewaltsamen Umsetzung durch die Französische Revolution kam das Konzept der Nationalität hervor. Jetzt fühlten sich die Leute einer Einheit zugehörig und in diesem Rahmen sticht das Gedicht von Arndt hervor (allerdings wurde es erst 24 Jahre später geschrieben). Die französischen Revolutionäre sahen den Rhein ganz anders. Für sie war er eine eindeutige Abtrennung zwischen dem germanischen und dem lateinischen Teil Europas. Bereits 1786 bezeichnete der aus Kleve stammende und spätere französische Abgeordneten Johann Baptist Baron von Cloots in seinem Werk „Vœux d’un Gallophile“ (Wünsche eines Gallien-Liebhabers) den Rhein als „die natürliche Grenze Frankreichs“.

Insbesondere weckte Koblenz damals die Aufmerksamkeit der jungen französischen Republik. Zuvor waren 1791 die Brüder des Königs hierhin zu ihrem Onkel, dem trierischen Kurfürst Clemens Wenzeslaus, gekommen und organisierten von unserer Stadt aus die Gegenrevolution.

Abb. 2: Wohl Heinrich Foelix: „Clemens Wenzeslaus Prinz von Sachsen, Kurfürst und Erzbischof von Trier“, Museums-Stiftung Krüger, Roentgen-Museum Neuwied. Foto Jean-Noël Charon 2020.

Am 20. April 1792 erklärte Frankreich  dem „König von Ungarn und Böhmen“ den Krieg. Preußen folgte unmittelbar mit einer entsprechenden Deklaration an Frankreich. Darauf marschierten Österreicher und Preußen durch Koblenz nach Frankreich hinein, um Ludwig XVI. zu „befreien“. Sie wurden aber in der Champagne überraschend geschlagen (Kanonade vom Valmy am 20. September 1792). Dies motivierte die französische Armee dermaßen, dass sie sich aus ihrer abgeschlagenen Situation wieder zu erheben vermochte. Sie konnte anschließend in Belgien siegen und unter Führung junger und vielversprechender Generäle wie Hoche, Marceau und Jourdan in die linksrheinischen Gebiete einmarschieren. Marceau eroberte Koblenz am 23. Oktober 1794, nach einigen Gefechten mit den Österreichern und ihren Alliierten (siehe Fundstück der Woche 10/2017). 1797 organisierte das Direktorium die Annexion der linksrheinischen Departements an Frankreich, 1801 folgte die internationale Anerkennung mit dem Friedensvertag von Lunéville. Erst 1813 kamen die Russen an den Rhein und verwalteten die Region, bis sie durch den Wiener Vertrag 1815 an Preußen fiel.

Stummer Zeuge dieser Zeit ist unsere 6-Pfünder Kanonenkugel. Sie wurde vermutlich in den Rheindörfern auf dem linken Ufer nördlich von Koblenz gefunden. Das Eisengeschoß wiegt 2,9 kg und misst 9 cm im Durchmesser. Hiermit wurde sie als preußische Kugel identifiziert.(1)

Es gab damals verschiedenste Kaliber und Geschosse, so ist es möglich diese anhand entsprechender Tabellen zu klassifizieren. Diese waren zwar immer in Pfund angegeben, da dieses Maß allerdings von Land zu Land bis zur Einführung des metrischen Systems nicht vereinheitlicht war, gab es Spielraum zur Abweichung. In etwa sind die Geschosse jedoch schon vergleichbar. Grundsätzlich wurden bei der Artillerie drei Arten von Geschützen verwendet:

  • der Mörser, von großem Kaliber (meist 24- oder 36-Pfund), diente zur Belagerung von Festungen, da sein Steilfeuer ermöglichte, über die Mauern das Innere der Anlage zu beschießen. Allerdings musste er in den Belagerungsgräben relativ nah an die feindliche Festung gebracht werden und konnte daher erst zum Ende einer solchen Aktion eingesetzt werden. Meist wurden Bomben (Hohlkugeln mit einer Explosivladung) oder rotglühende Kugeln zum Anzünden von Strohdächern und brennbarem Material verwendet.
  • Die zweite Sorte von Geschützen bildeten die Haubitzen, die eine längere Reichweite hatten. Sie waren am Anfang der Belagerung von großem Nutzen, solange die Gräben noch zu weit entfernt waren, um die Mörser einzusetzen.
  • Das letzte und bekannteste Geschütz ist die Kanone, damals auch Feldstück genannt. Sie wurde von kleineren Kalibern gefertigt und war eigentlich für die Schlacht auf dem freien Feld vorgesehen. Sie verschoss Vollkugeln, die am besten per „Rikoschett“ ganze Reihen von Soldaten niedermetzelten, das heißt, die auf dem harten Boden flach aufprallten und so weiter sprangen. Die kleineren Kanonen, 3- und 4-Pfünder, wurden teilweise der Kavallerie als Unterstützung mitgegeben, größere wie unsere 6-Pfünder dienten eigentlich der Artillerie selbst.

Kanonenkugeln wurden allerdings nur auf größere Entfernungen von mehreren Hundert Metern verwendet. Um möglichst viele Infanteristen auf kurze Distanz zu töten, benutzte die Artillerie eine andere Art Munition. Die sogenannten Kartätschen wurden ebenfalls aus Eisen gefertigt, sind aber mit etwa 2 bis 4 cm im Durchmesser wesentlich kleiner. Diese wurden in Kartuschen in großer Anzahl verschossen und als Streumunition eingesetzt.

Abb. 3: Kartätsche, um 1800. Privatsammlung des Autors, aus dem Nachlass von Jan Reuter (†).

Allerdings sind die Kartätschen nicht kalibriert, sodass eine Identifizierung anhand deren Größe und Gewicht nahezu unmöglich ist. Solche Kartätschen am Rhein können sowohl aus den Jahren 1794 bis 1797 gegen die Österreicher und deren Verbündete verwendet worden sein, als auch von einen späteren Zeitpunkt, nämlich dem Rheinübergang 1813/14, stammen.

Schließlich kommen wir zu der einfachsten Art von Geschossen, die damals verwendet wurden: die Gewehrkugel. Im Unterschied zu der Kanonenmunition waren diese aus Blei. Auch hier sind verschiedene Kaliber je nach Land verwendet worden. Da allerdings die Läufe glatt waren und die Kugel unterkalibriert, wurden öfter feindliche Kugeln genauso verwendet wie die eigenen. Zu guter Letzt hatten die Soldaten teilweise eigenes Werkzeug und Schablonen (sogenannten Kokillen), um fremde Kugeln am Lagerfeuer zu schmelzen und sie neu zu gießen.

Abb. 4: Gewehrkugeln, um 1800. Privatsammlung des Autors, aus dem Nachlass von Jan Reuter (†).

Auch hier können diese Kugeln von den verschiedensten Konflikten stammen, was für uns heißt: 1794 bis 1797 während der Französischen Revolution oder 1813/14 am Ende des Kaiserreiches.

Preußen hat bei uns nur wenig gegen die Franzosen gekämpft. 1795 schloss dieses Land einen Separatfrieden mit Frankreich ab, und in der napoleonischen Zeiten war der Krieg weit in deren Erbländern entfernt. Erst nach der Völkerschlacht, als die Franzosen sich hinter den Rhein zurückzogen, kamen wieder preußische Soldaten in unsere Region. Daher kann diese Kugel nur aus den Jahren 1792, 1794 oder 1813 stammen. Beim ersteren ist es zwar möglich, dass diese Kugel vergessen wurde, als die Preußen ihr Lager abbrachen, allerdings ist dies wenig glaubwürdig. Beim letzteren stand die Russische Armee vor Koblenz, der nur preußische Kavallerie beigestellt war, aber es wird nicht über preußische Artillerie berichtet.(2) Daher ist die Kugel mit höchster Wahrscheinlichkeit aus dem Jahr 1794. Sie könnte eventuell im Oktober 1794 von der anderen Rheinseite auf die anrückenden Franzosen abgeschossen worden sein.

Jean-Noël Charon

Anmerkungen

(1) Freundlicher Hinweis von Jörg Höfer.
(2) Vgl. Jean-Noël Charon, „Guillaume Emmanuel Guignard de Saint-Priest 1776-1814“, Fölbach, Koblenz 2020, S. 83 ff.

Abbildungen

Abb. 1-4: Fotos J.-N. Charon, 2020