Fundstück der Woche 11/2020

„Der große Weltkrieg“, 3. August 1914

Das Fundstück der Woche 11/2020 ist ein Ausschnitt aus einer Fotografie von Joseph Ring, die uns 2017 als Plakat für unsere Jubiläumsausstellung gedient hat. Sie hilft zu ergründen, was es mit den in Fundstück 10/2020 erwähnten und gezeigten zeitgenössischen Inschriften auf sich hat.

Interessante Entdeckungen gelingen manchmal erst beim näheren Hinsehen oder unter Zuhilfenahme eines Vergrößerungsglases. Schon länger bekannt ist die Innenansicht der südlichen Fassade des Kernwerks der Feste Kaiser Franz, fotografiert von Joseph Ring um 1920. Zu dieser Zeit, in der die Entfestigung kurz bevorstand und der Erhalt des Kernwerks alles andere als sicher war, hatte das Gebäude schon arg gelitten: In der unteren Kasemattenreihe sind Fenster und Türen größtenteils entfernt, die Fensterscheiben im Obergeschoss sind zerbrochen. Als Kaserne diente das Gebäude zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich nicht mehr.

Das war einige Jahre zuvor noch anders. Als Deutschland am 1. August zunächst Russland und zwei Tage später Frankreich den Krieg erklärte, lag hier die 6. Kompagnie des Infanterie-Regiments „von Goeben“ (2. Rheinisches) Nr. 28, wie die Inschriften auf besagtem Foto von 1920 vermuten lassen. Und noch mehr ist bei genauerer Betrachtung zu erkennen: Über den noch intakten wie auch den aufgebrochenen Fenster- und Türöffnungen sind weitere Wörter zu erkennen wie Belle Alliance, Ludwigshafen, Waghäusel, zum Teil nur Fragmente, Wortfetzen, dazu Jahreszahlen, deren Bedeutung zunächst schleierhaft bleibt.

Abb. 1: Kasematten 4, 5 und 6 des Reduits der Feste Kaiser Franz, um 1920

Ein Deutungsversuch: Die hier stationierten 28er bemalten, womöglich im Überschwang der 1914 verbreiteten allgemeinen Kriegsbegeisterung, die Eingänge zu den Kasematten im Innenhof des Kernwerks mit den Jahreszahlen und Orten von siegreichen Schlachten und Gefechten, an denen das Regiment im Laufe des 19. Jahrhunderts teilgenommen hatte. Die Aufzählung dieser Schlachtenorte beginnt am südlichsten Kasemattenblock und endet am Mittelrisalit des Kernwerks, vom nördlichen Bogen liegt leider kein Bildmaterial vor. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Reihe der erfolgreichen Gefechte nicht mit dem Jahr 1866 abbrach. Zurück gehen sie jedenfalls bis 1808, als die Einheit noch als 1. Großherzoglich Bergisches Infanterie-Regiment für Frankreich in Spanien kämpfte.(1)

Die Inschriften lauten im Einzelnen, soweit sie noch lesbar sind bzw. rekonstruiert werden konnten, von links nach rechts:
Block 1: 1808-11 Gerona 1812 Beresina
Block 2: Durchfahrt
Treppenhaus
Block 3: keine Inschriften vorhanden
Block 4: Gilly-Ligny 1815 Belle-Alliance
Block 5: Kantine
Block 6: Ludwigshafen 1849 Waghäusel
Block 7: Durlach 1849 Bischweier (2)
Block 8: [h]nerwasser 1866 Münchengrätz (3)
Block 9: unleserlich
Mittelrisalit: Inf. Reg. v. [Goeben] 6. Komp. 2. Rhein. [unleserlich]
Block 10: nur noch bruchstückhaft vorhanden

Zu den Inschriften kommen noch Abbildungen von sechs zeitgenössischen Uniformen auf den Lisenen und ein Porträt des Generals von Goeben im Mittelrisalit. Wie lange die Inschriften an der Fassade in den folgenden Jahren nach der Entfestigung noch überdauerten ist mangels Bildmaterial nicht mehr zu rekonstruieren. Auf der letzten bekannten Ansicht von 1958 sind diese nicht mehr zu sehen.

Matthias Kellermann

Abb. 2: Soldaten am Bekleidungsamt (ehemalige Moselflesche), 1915

Anmerkungen

(1) Vgl. Neff, Wilhelm: Geschichte des Infanterie-Regiments von Goeben (2. Rheinischen) Nr. 28, Berlin 1890, S. 6.
(2) Nicht mehr vorhanden, rekonstruiert anhand des Fotos in Fundstück 10/2020.
(3) Nur bruchstückhaft vorhanden, rekonstruiert anhand des Fotos in Fundstück 10/2020.

Abbildungen

Abb. 1: Ausschnitt aus unserem Plakat von 2017, Quelle: Stadtarchiv Koblenz FA 4,3 Nr. 1 Bild 14, Fotograf Joseph Ring (Ausschnitt)
Abb. 2: Sammlung M. Kellermann, Quelle unbekannt, 1915