Revolution! Revolution? 1848/1849
Das Fundstück der Woche 19/2023 ist ein Artikel aus der Leipziger Zeitung vom 6. April 1848. In diesem wird berichtet, dass vor 175 Jahren anlässlich der revolutionären Bedrohung aus Frankreich die Festung Koblenz und Ehrenbreitstein in den Kriegszustand versetzt und u. a. auch die Werke des Systems Feste Franz entsprechend vorbereitet worden waren.
Nachdem Ende Februar 1848 in Frankreich von Paris ausgehend eine Revolution den Bürgerkönig Louis-Philippe samt Königtum hinweggefegt hatte, kam es im März auch in den Deutschen Staaten am Rhein und im Deutschen Bund zu revolutionären Ereignissen. Am 6. März 1848 befahl das preußische Kriegsministerium daher die Armierung der Festung Koblenz und Ehrenbreitstein.(1) Zugleich wurde die Landwehr mobilisiert, die „ausschließlich zur Sicherstellung der Rheinprovinz und der Festungen“ eingesetzt werden sollte.(2)
Alle Werke des Systems Feste Franz wurden in den Kehlen mit Palisaden versehen und, nach einem weiteren Befehl des Kriegsministeriums vom 22. Mai, noch zusätzlich verstärkt. Zudem wurden die Blockhäuser der Metternicher und Rübenacher Schanze, die bis dahin zur Lagerung von Pulver dienten, für eine Belegung mit weiteren Truppen hergerichtet. Ausgehend von einer Festungsbesatzung von 11 500 Mann wurden außerdem insgesamt 13 neue Küchen zur Versorgung der Soldaten eingerichtet, von denen sich eine im Kehlturm der Feste Kaiser Franz befand.(3)
Am 26. März berichteten mehrere Quellen, „daß die aus Paris ausgewiesenen Deutschen mit französischen Waffen und Helfern auf dem Anmarsche seyen, um über Saarbrücken in das preußische Gebiet einzufallen. Ein Raubzug französischer Bauern sollte ihnen vorauseilen.“(4) Als es kurz darauf im deutsch-französischen Grenzgebiet, vermutlich bei Lebach, mutmaßlich zu einem Gefecht zwischen Aufständischen aus Frankreich und dem Husaren-Regiment Nr. 9 gekommen war, wurden am 1. April weiterführende Maßnahmen auf den Weg gebracht. „Die hiesige Festung wird in Kriegszustand gesetzt. Die großen Werke Feste Franz und Alexander diesseits des Rheins und jenseits der Mosel werden verproviantirt [sic!] und sind schon mit Pallisaden [sic!] und Blockhäusern umgeben. Eben ist man mit der Verpallisadirung [sic!] unserer Stadt vor dem Mainzer Thore beschäftigt. Im hiesigen Schlosse werden Kostbarkeiten und Möbel eingepackt und auf den Ehrenbreitstein gebracht. Die Angst hat schon viele Gemüther befallen und mehrere Familien schicken sich zur Rückreise an.“(5) Zum Kommandanten der Festung Koblenz wurde außerdem am 11. April Generalmajor Philipp von Wussow ernannt,(6) der im März 1848 aktiv an den Barrikadenkämpfen in Berlin teilgenommen hatte.(7)
In Koblenz fürchteten einige Bürger derweil, dass die Berichte über die Bedrohung aus Frankreich lediglich dazu dienen sollten, „die in der Stadt beliebten Truppen aus derselben zu entfernen, und sie durch andere zu ersetzen„. Geplant war nämlich, „drei Bataillone und zwei Batterien der Garnison Coblenz, als die nächstgelegenen Truppen“ den potentiellen Feinden „auf den Hundsrück entgegen zu senden„.(8) War die Furcht einiger Koblenzer tatsächlich unbegründet? Alle diese zuvor beschriebenen Maßnahmen zur Sicherung des Standortes Koblenz (und die Entsendung der Truppen) konnten zwar vordergründig die Reaktion auf eine äußere Bedrohung sein. Sie konnten aber auch gegen innere Feinde, sprich die eigene Zivilbevölkerung gerichtet sein, wie Hauptmann Bergsträsser schon 1818 in seinem Besichtigungsbericht über die Festungsbaustellen in Koblenz anmerkt: „Umgekehrt dienen die abgesonderten Forts gleichsam als Citadellen, um eine unruhige und übelgesinnte Bürgerschaft im Zaume zu halten.“(9) Und tatsächlich hatte der Kommandant der Festung, General Karl Moritz Ferdinand von Bardeleben (1777-1868), noch vor der Revolution im Oktober 1847 gedroht, „er werde die Stadt im Fall von Unruhen ‚zusammenschießen‘ lassen“.(10)
Und dennoch: Obwohl in Koblenz nach Ausbruch der Revolution „Gewitterstimmung“ herrschte, eine Bürgerwehr gegründet und am 21. November 1848 wieder aufgelöst wurde, und obwohl sich die politischen Vereine und Klubs im Verlauf der Ereignisse radikalisierten,(11) blieb es in der Folge im Großen und Ganzen ruhig in der Stadt. Auch über den Einsatz von Militär gegen die Koblenzer Zivilbevölkerung gibt es keine Nachrichten, wohl aber über einen gewaltsamen Zusammenstoß von Zivilisten und Militärangehörigen in der Löhr- und in der Marktstraße am 2. Dezember. Zudem starb der Student Paul Geromont am 18. Juni 1849 „bei einer Schlägerei zwischen Offizieren und Zivilisten am Tag des Jahrestages der Schlacht von Waterloo“.(12) Ob der Verlauf der Revolution in Koblenz ursächlich mit dem Status als preußische Festung und der verstärkten Anwesenheit auswärtiger Truppen zusammenhängt, bedarf allerdings noch weiterführender Untersuchungen.
Zwischen dem Scheitern der Deutschen Nationalversammlung am 3. April 1849 und dem Ausbruch der Revolution in Baden am 11. Mai ließ Preußen die Armierung der Festung Koblenz und Ehrenbreitstein nochmals erweitern und für eine militärische Auseinandersetzung rüsten, wie der Lechbote am 5. Mai berichtet. „Auf den Batterien, in den Magazinen und Depots ist Seitens unseres Militärcommando’s [sic!] augenblicklich eine große Thätigkeit bemerkbar, daher das Gerücht von einer Armirung unserer Festungswerke wahrscheinlich wird. Auch hat man schon damit begonnen, Geschütze auf die Wälle zu fahren und die Munitionshäuser an den Wallgräben zu versehen. Wagen mit Pulver und Kugeln fahren den ganzen Tag durch die Strassen der Stadt und über die Brücke nach dem Ehrenbreitstein, und in dem Laboratorium werden eine Menge Granaten und Schrappnels gefüllt. Heute trifft auch die im vorigen Sommer von hier nach der französischen Gränze [sic!] detachirte Batterie der 8. Brigade wieder hier ein, und soll dieselbe in die Werke der Feste Kaiser Franz (Petersberg) gelegt werden.“(13)
Und tatsächlich gingen preußische Einheiten wenig später militärisch gegen die Revolutionäre im Südwesten Deutschlands vor. Im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen kam es am 21. Juni 1849 bei Waghäusel zu einem Gefecht zwischen badischen und preußischen Truppen, das für die Preußen zunächst nicht gut verlief. „Bald nach 12 Uhr mittags trat auf dem linken Flügel eine ungünstige Wendung ein. Die ‚Post‘, von 18 meist schweren Geschützen mit Feuer überschüttet, geriet in Brand, wurde geräumt und alsbald von den nachdrängenden Freischärlern besetzt. Nunmehr erschien die Rückzugstraße auf Philippsburg ernstlich gefährdet, und, obwohl sich die 4./17 mit Teilen der 12. Kompagnie im nördlichen Flügel der Fabrik dem vorgehenden Gegner kräftig entgegenstellte, leitete Oberstleutnant v. Nolte gegen 12 Uhr 30 Minuten den Rückzug auf Philippsburg ein.“(14)
So endete am 21. Juni 1849 das Gefecht bei Waghäusel für das Infanterie-Regiment (4. Westfälischen) Nr. 17 Graf Barfuß. Und obwohl die 4. Kompagnie sich aus dem Gefecht zurückziehen musste, galten die preußischen Soldaten im Nachhinein doch als Sieger dieser „Schlacht“, da sich in der Folge die badische Armee nach und nach auflöste und schließlich in die Schweiz zurückzog.(15) Das ursprünglich in Wesel stationierte Füsilier-Bataillon des 17. Infanterie-Regiments wurde am 25. Oktober 1849 schließlich nach Koblenz verlegt, wo die Soldaten in der Feste Kaiser Franz und den Fleschen des Systems Feste Franz unterkamen.(16)
Obwohl die Deutsche Revolution mit dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung und der Niederschlagung der Badischen Revolution im Juli 1849 de facto beendet war, blieb die Armierung der Festung Koblenz und Ehrenbreitstein, auch bedingt durch die Herbst- oder Novemberkrise, weiterhin bestehen. Und obwohl die Armierungsmaßnahmen seit dem 30./31. Januar 1851 eingestellt bzw. zum Teil auch rückgängig gemacht worden waren, „wurde die völlige Zurückführung der westlichen Festungen des Staats auf den Friedenszustand“ erst am 27. Juli 1852 angeordnet,(17), immerhin vier Jahre und annähernd fünf Monate nach der Armierung anfang März 1848.
Mehr zur Geschichte der Ereignisse vor 175 Jahren erfahren Sie hier im Blog des Stadtarchivs Koblenz.
Matthias Kellermann
Anmerkungen
Dieser Beitrag fußt in großen Teilen auf dem Kapitel „Kanonendonner an der Feste Kaiser Franz“ in unserem Buch „Fundstücke“ (in Vorbereitung).
(1) StAK HK 11 Dzi, Festungs-Geschichte, Blatt 6.
(2) Kölnische Zeitung Nr. 72, 12. März 1848, S. 1 (hier abgerufen am 07.05.2023).
(3) Vgl. StAK HK 11 Dzi, Festungs-Geschichte, Blatt 6ff.
(4) Neue Würzburger Zeitung Nr. 92, 01.04.1848, S. 3 (hier abgerufen am 07.05.2023).
(5) Leipziger Zeitung Nr. 97, 06.04.1848, S. 2127: Coblenz, 1. April. Das hier angesprochene Gefecht findet in der Regimentsgeschichte keine Erwähnung.
(6) Vgl. Militär-Wochenblatt Nr. 17, 22.04.1848, S. 2 (hier abgerufen am 07.05.2023).
(7) Vgl. den Artikel über Philipp von Wussow in der deutschen Wikipedia, hier abgerufen am 07.05.2023.
(8) Neue Würzburger Zeitung Nr. 92, 01.04.1848, S. 3 (hier abgerufen am 07.05.2023).
(9) Bereits im August 1818 bemerkte Hauptmann Bergsträsser in seiner Abhandlung über den Festungsbau in Koblenz im Kapitel „ueber den Geist der Befestigungs Arbeiten von Coblenz“, dass die Festungswerke nicht allein gegen einen äußeren Angreifer, als auch gegen die eigene Bevölkerung Verwendung finden könnte (StAK Zug. 1996/33: Memoire über die Befestigung von Coblenz nebst 3 Plänen, Abschrift von Abschrift 1850, Original in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kriegsarchiv München (BHStAM), Sign.: Plansammlung Koblenz Nr. 1. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Kopie des „Mémoire über die Befestigung von Coblenz. Auf Befehl geschrieben von Bergsträsser, Second-Lieutenant vom Generalstabe. Darmstadt im May 1820“. Siehe auch Zastrow, Heinrich Adolf von: Geschichte der beständigen Befestigung oder Handbuch der vorzüglichsten Systeme und Manieren der Befestigungskunst. Nach den besten Quellen bearbeitet und durch 20 Pläne erläutert von A. v. Zastrow, 3. Auflage, Leipzig 1854, S. 79).
(10) Koelges, Michael: Die Revolution von 1848/49 in Koblenz, Vortrag vom 30. Juni 1998, S. 2, hier abgerufen am 14.07.2019).
(11) Ebd., S. 2f.
(12) Ebd., S. 4f.
(13) Der Lechbote. Eine Augsburger Morgenzeitung, Nr. 123, 05.05.1849, S. 492. Die 8. Artillerie-Brigade ist der Vorläufer des späteren Feldartillerie-Regiments „von Holtzendorff“ (1. Rheinisches) Nr. 8.
(14) Pohlmann, Georg: Geschichte des Infanterie-Regiments (4. Westfälischen) Nr. 17 Graf Barfuß im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1906, S. 65f.
(15) Vgl. Eintrag zum Gefecht bei Waghäusel in der deutschen Wikipedia, hier abgerufen am 14.07.2019.
(16) Vgl. Pohlmann, Geschichte, S. 62 und S. 68f.
(17) StAK HK 11 Dzi, Festungs-Geschichte, Blatt 9f.