Der Ehrenbreitstein und der Petersberg mit Marceaus Grab nach William Turner, 1835
Das Fundstück der Woche 33/2022 ist ein Stahlstich von J. Cousen nach dem 1835 entstandenen Gemälde „The Bright Stone of Honour (Ehrenbreitstein) an the Tomb of Marceau from Byron’s ‚Childe Harold‘“ von William Turner (1775-1851). Dieses zeigt im Vordergrund den Petersberg vor dem Bau der preußischen Befestigungsanlagen und im Hintergrund die zerstörte kurtrierische Festung Ehrenbreitstein.
1817 machte sich William Turner zum ersten Mal an den Mittelrhein auf. Nach einem Abstecher nach Waterloo erreichte er am 18. August Köln, von wo aus er am folgenden Tag den Rhein aufwärts nach Bonn wanderte. Am 20. August gelangte er, noch immer zu Fuß, nach Remagen und von dort am darauffolgenden Tag nach Koblenz, wo er gleich zwei Mal übernachtete: „Es wird der erste Aufenthalt, auf den er bis in sein hohes Alter neun weitere folgen lässt, um die Ansichten um die befestigte Stadt immer neu in sich aufzunehmen.“
Ein besonderes Augenmerk richtete Turner dabei auf die Festung, später Feste Ehrenbreitstein, die über der ganzen Szenerie thronte. „Napoleon ließ sie zerstören, und Turner zeichnet die abgebrochenen Mauerkronen, die leeren Fensterlaibungen und die am Hang abrutschenden Geröllhalden mit dem Auge eines Architekten und im Nachhall seiner Erfahrung von Waterloo. Den Schauder, den Ruinen auslösen, ihre Melancholie über den Verlust, die Erinnerung an eine bessere, größere Vergangenheit, wird Turner als romantisches Element im Blick gehabt haben.“
Der Ehrenbreitstein wird aber nicht das einzige Motiv gewesen sein, dass Turner in seinen Bann gezogen hat. „Neben dem von Gardnor wie später von vielen anderen präferierten Aussichtspunkt auf Ehrenbreitstein lag die zweite berühmte Koblenzer Ansicht flussauf hinter der Moselbrücke im heutigen Stadtteil Lützel, obwohl eilige sich wohl schon auf der Brücke umgedreht haben werden. Von hier ist das ganze Panorama der Stadt von Südwesten aus auf einen Blick zu erfassen: die Brücke mit den vielen Bögen, die Moselfront der Altstadt mit ihren Wohnburgen, Häusern, verwinkelten Dächern und Erkern, den Kirchtürmen darüber, im Hintergrund die glitzernde Flussmündung mit der sie überragenden Felswand samt Festung.“(1)
Beides, der Ehrenbreitstein wie auch die Stadt Koblenz, finden sich als Motive in dem eingangs gezeigten Bild wieder. Allerdings dominiert hier der übermächtige Ehrenbreitstein mit seinen Ruinen, während Koblenz zurücktritt und eher klein in der rechten Bildmitte erscheint. Das zweite dominierende Element ist im Vordergrund der Petersberg, auf dem der Betrachter zu stehen scheint. Wir sehen einen Brunnen, mit dem die Brunnenstube auf der Anhöhe gemeint sein könnte, und Marceaus Pyramide vor der Feste Ehrenbreitstein. Im Vordergrund lagern Zivilisten, die, bepackt mit Körben, am Brunnen rasten, neben der Wasserstelle sind auch Soldaten auszumachen. An der Grabpyramide im Hintergrund sind Zelte aufgebaut, lange Reihen von angetretenen Soldaten umgeben das Denkmal. Sind es französische Soldaten? Preußen gar? 1812, als Lord Byrons „Childe Harold’s Pilgrimage“ erschien, war Koblenz noch die Hauptstadt des Departements Rhin et Moselle.
Im Sommer jenes Jahres 1817, als William Turner zum ersten Mal in Koblenz weilte, war der Ehrenbreitstein bereits enttrümmert. Zudem war die im Frühjahr begonnene Schienenfahrt zwischen Plateau und Rhein, im Bild als Schemen erkennbar, größtenteils vollendet.(2) Marceaus Grabmal stand noch an seinem alten Platz auf dem Petersberg, erst im Frühjahr 1818 musste es dem Festungsbau weichen und erstand erst im September des gleichen Jahres am Fuße der Erhebung neu. Bei einem seiner späteren Aufenthalte in Koblenz hat William Turner die Pyramide Marceaus noch einmal skizziert, diesmal am Fuße des Petersbergs in Sichtweite der Feste Kaiser Franz. Eine Abbildung ist hier auf den Seiten der Tate Gallery zu finden.
Zurück zum Petersberg, dem Standort unseres Betrachters. Hier hatten bereits am 16. September 1816 die Erdbewegungen für die neuen preußischen Befestigungsanlagen begonnen, seit dem Frühjahr 1817 wurde hier auch gemauert. Nach einem Bericht Asters vom 30. Juli des Jahres waren zu diesem Zeitpunkt „weitgehend der Graben ausgehoben, das Glacis angeschüttet und die Kontereskarpe mit Grabenwehr aufgemauert“.(3) Störte die Baustelle der späteren Feste Kaiser Franz die Komposition, die Turner vor Augen hatte, sodass er sich dazu entschied, in seinem erst 1835 entstandenen Gemälde den Petersberg um 90° nach Westen zu drehen und so die Bauarbeiten aus dem Blickfeld zu verbannen? Und was sind das für Befestigungsanlagen, die Turner auf dem Lützeler Brückenkopf an der Moselbrücke seinem Gemälde hinzugefügt hat? Sind es die Reste eines Tambours, den der letzte kommandierende französische General Guérin Ende November 1813 in aller Eile hatte anlegen lassen,(4) als die feindlichen Soldaten sich bereits der Rheingrenze näherten?
Hierüber gibt auch das farbige Original leider keine Auskunft. Es scheint, als habe Turner eine idealiserte Ansicht des Petersbergs zur französischen Zeit von Koblenz gemalt.(5) Nachdem das Gemälde sich über 50 Jahre in Privatbesitz befand, wurde das Kunstwerk übrigens am 5. Juli 2017 bei Sothebys in London für knapp 22 Millionen Euro versteigert.(6)
Matthias Kellermann
Anmerkungen
(1) Balmes, Hans Jürgen: Der Rhein. Biographie eines Flusses, FFM 2021, S. 160f.
(2) Weber, Klaus T.: Die preußischen Festungsanlagen von Koblenz (1815–1834), Weimar 2003 (Reihe: Kunst- und Kulturwissenschaftliche Forschungen Band 1), S. 266 und 268.
(3) Ebd., S. 231.
(4) Vgl. Michel, Fritz: Der Ehrenbreitstein, Koblenz 1933, S. 62 und Michel, Fritz: Die letzten Tage der Franzosenzeit in Coblenz, in: Trierische Chronik / Zeitschr. d. Gesellschaft für Trierische Geschichte und Denkmalpflege, NF X, 1913/14, S. 161-171, hier S. 166. Freundlicher Hinweis von J.-N. Charon.
(5) Freundlicher Hinweis von J.-N. Charon.
(6) Vgl. RZ Online vom 6.07.2017, hier abgerufen am 08.08.2022.
Abbildungen
Abb. 1: Sammlung M. Kellermann, Stahlstich von J. Cousen, undatiert